Lead User*innen + Blockchain in der Healthcare-Branche
Was macht echte Innovation aus? Und wie schaffen Unternehmen Raum für Neues? Schon 2019 hat uns Evgeniia Filippova bei unserem ersten Innovation Friday wertvolle Einblicke gegeben, heute gehen wir tiefer und sprechen über den Unterschied zwischen Erfindung und Innovation, über disruptive Ideen und warum eine innovationsfreundliche Unternehmenskultur kein Nice-to-have, sondern eine Notwendigkeit ist.

Veröffentlicht am: 10.10.2019
VERDINO: Liebe Evgeniia, du hast uns an unserem ersten Innovation Friday im April 2019 einiges über das Thema Innovation erzählt. Kurz zusammengefasst: Was macht Innovationen aus? Wer bestimmt, ob etwas innovativ ist, oder nicht?
Evgeniia:
Innovation im Allgemeinen steht für Neuerungen. Dabei ist es wichtig, zwischen »Erfindung« und »Innovation« zu unterscheiden – beim ersten Begriff liegt der Fokus mehr auf der technischen Neuheit, während bei der Innovation die erfolgreiche Umsetzung am Markt entscheidend ist.
Aber was kann innovativ sein? Neue Produkte, Prozesse, aber auch neue Kund*innengruppen, Kund*innenerfahrungen oder innovative Geschäftsmodelle. »Innovativ sein« ist oft subjektiv: Was für das eine Unternehmen innovativ ist, muss nicht auch für alle anderen innovativ sein.
Ein nützliches Framework um einen Innovationsgrad für sich zu definieren, ist eine sogenannte »Innovation Ambition Matrix« – der größte Teil von Innovationen sind inkrementelle Innovationen, oder Verbesserungen aktueller Produkte für bestehende Kund*innengruppen. Wenn ein Unternehmen »richtig innovativ« ist (im Sinne von Joseph Schumpeter, Vater des Innovationsmanagements), dann betreibt es disruptive Innovationen.
VERDINO: Ein Zitat auf deiner Folie lautete »Innovation findet außerhalb der Routine statt«: Welche Möglichkeiten haben Unternehmen oder sollten Unternehmen schaffen, um innovative Ideen zu entwickeln?
Evgeniia:
Innovation beinhaltet Veränderung. Und das Fundament für diese Veränderung besteht nicht in der Änderung der Produktkategorien oder Technologien, sondern in einer Unternehmenskultur, die Neues will und sucht. Ein berühmter französischer Chemiker und Mikrobiologe, Louis Pasteur, hat gesagt: »Die Chance begünstigt den vorbereiteten Geist«. Es ist daher entscheidend, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der sowohl Raum als auch explizit Zeit für Innovationen gegeben ist.
Wichtig dabei: Nicht davon ausgehen, dass auch alle Innovationen erfolgreich sein werden – man benötigt sehr viele Ideen, damit zumindest aus der einen oder anderen etwas wird.

VERDINO: Konkret: Wir bei VERDINO haben den Raum dafür geschaffen. Wir haben einmal im Monat einen Innovation Friday. Das Ziel ist, innovative Methoden für uns oder auch gemeinsam mit und für unsere Kund*innen zu entwickeln. Welchen »Top-Tipp« gibst du uns für die Innovationsentwicklung mit auf den Weg?
Evgeniia:
Ich empfinde euren Innovation Friday als eine sehr gute und auch innovative Initiative. Für die Entwicklung von Innovationen würde ich allen Unternehmen folgende Tipps mit auf den Weg geben:
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Zu Beginn des Prozesses ist es hilfreich, eine »Innovation Thesis« zu formulieren, in der festgehalten wird, welche Kernprodukte angeboten werden, welche Trends sich in der Gesellschaft, Technologie und Wirtschaft abzeichnen und auch, welches Ergebnis vom Innovationsprozess erwartet wird.
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Achtet darauf, dass ihr Innovationen nicht zu früh mit KPIs »killt«. Jede Art von Innovation erfordert unterschiedliche Vorgehensweisen und braucht auch genügend Zeit.
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Bindet eure Kund*innen so früh wie möglich in die Innovationsprozesse ein. Es ist wichtig, dass ihr Innovationen für, aber auch mit euren Kund*innen gemeinsam entwickelt.
Lead User*innen können oft Expert*innen auf einem Gebiet oder auch in den analogen Märkten sein. In der Praxis werden Lead User*innen oftmals durch verschiedene Ideenwettbewerbe, Crowdsourcing-Kampagnen und Hackathons gefunden.
VERDINO: Du hast auch von »Lead User*innen« gesprochen, die selbst innovativ werden: Wie können solche User*innen »gefunden« und bestmöglich in den Innovationsprozess integriert werden?
Evgeniia:
Im traditionellen Innovationsmanagement wurde angenommen, dass Hersteller*innen neue Ideen für Innovationen generieren, wobei die Kund*innen keine bzw. nur eine passive Rolle haben.
Die neue Sichtweise (User*innen Innovationen) weist den Kund*innen eine größere Rolle zu. Man beobachtet tatsächlich, dass ein Großteil der Kund*innen sehr kreativ ist und dass diese viele Produkte selbst (weiter)entwickeln oder zumindest verfeinern.
Die sogenannten »Lead User*innen« sind Nutzer*innen, die 1.) bereits heute Bedürfnisse haben, welche die breite Masse in Zukunft auch haben wird und die 2.) einen hohen Nutzen von Innovationen haben.
Für eine erfolgreiche Suche nach Lead User*innen sollten die Selektionskriterien, oder das gewünschte Profil, im Voraus festgelegt werden. Lead User*innen können oft Expert*innen auf einem Gebiet oder auch in den analogen Märkten sein. In der Praxis werden Lead User*innen oftmals durch verschiedene Ideenwettbewerbe, Crowdsourcing-Kampagnen und Hackathons gefunden. Im Medizinbereich werden beispielsweise häufig informierte Patient*innen, die besonders hohen Nutzen von einer potentiellen Innovation haben, als Lead User*innen identifiziert.
Sobald Lead User*innen als solche identifiziert sind, werden diese zu einem – oft mehrtägigen – Workshop eingeladen, um gemeinsam mit ausgewählten Mitarbeiter*innen Konzepte und ggf. Prototypen zu entwickeln.

VERDINO: Es gibt unzählige (digitale) Trends und Erfindungen – aber was unterscheidet diese von einer erfolgreichen Innovation, die sich auch langfristig etablieren kann?
Evgeniia:
Der Hauptunterschied besteht hier darin, dass bei einer Innovation eine erfolgreiche Umsetzung am Markt entscheidend ist. Sonst ist es keine Innovation, sondern eine technische Erfindung.
Wenn wir eine neue Technologie betrachten – beispielsweise Blockchain (damit beschäftige ich mich seit einiger Zeit am meisten) – werden die erfolgreichen Blockchain-basierten Innovationen die Lösungen sein, die sich langfristig am Markt etablieren.
Technologie alleine ist dafür noch nicht genügend, es muss ein sinnvolles und verwertbares Anwendungsszenario vorhanden sein.

VERDINO: Du bist Senior Scientist am Forschungsinstitut für Kryptoökonomie der WU Wien. Was interessiert dich persönlich am Thema Innovation und wie integrierst du Innovationsprozesse in deine Arbeit als Wissenschaftlerin?
Evgeniia:
Im Rahmen meiner Tätigkeiten an der Wirtschaftsuniversität Wien und am CERN beschäftige ich mich seit einigen Jahren mit dem Thema Innovation. Persönlich finde ich besonders spannend, wie aus der technischen Erfindung kommerzielle Innovationen entstehen und weiterverbreitet werden. Auf diesem Weg habe ich viele Wissenschaftler*innen mit technischem oder naturwissenschaftlichem Background unterstützt.
In meiner täglichen Arbeit als Wissenschaftlerin integriere ich ständig Innovationsansätze. Beim Aufbau eines neuen Forschungsfeldes oder bei der Findung einer spannenden Forschungsfrage, ist das Bedürfnis nach innovativem Denken sehr groß.
Künstliche Intelligenz, DLT und Blockchains, sowie Internet-of-Things sind die sogenannten »General-Purpose«-Technologien der Zukunft.
VERDINO: Werfen wir einen Blick auf neue Technologien: Worauf müssen sich Unternehmen zukünftig einstellen, was ist der nächste große Trend oder die nächste große Innovation?
Evgeniia:
Aktuell gibt es mehr als 250 sozio-technische Entwicklungen – so werden die technischen Innovationen bezeichnet, die mit wirtschaftlichem, gesellschaftlichem und auch politischem Wandel verbunden sind.
Künstliche Intelligenz, DLT und Blockchains sowie Internet-of-Things sind die sogenannten »General-Purpose«-Technologien der Zukunft. Diese Technologien, nicht eigenständig sondern eher in Konvergenz miteinander, werden sich – so vermutet man – in fast allen Bereichen durchsetzen. Sie sind schon jetzt Thema bei den meisten Unternehmen und werden in den kommenden Jahren in eine Vielzahl kommerzieller Innovationen umgewandelt.

VERDINO: Blockchains sind ein viel diskutiertes Thema. Inwiefern können sie für den Healthcare-Bereich – und damit auch für uns als Agentur mit diesem Schwerpunkt – interessant sein?
Evgeniia:
Blockchain Technologien bieten zahlreiche Möglichkeiten zur Anwendung im Healthcare-Bereich. Im Zusammenhang mit dem Austausch von Patient*innenakten und Gesundheitsinformationen, bietet Blockchain beispielsweise Vorteile bei der Dezentralisierung sowie der Vertraulichkeit und in Zukunft auch bei reduzierten Transaktionskosten. Technisch gesehen ist dieses Anwendungsszenario aber nicht trivial, da Blockchains für die Speicherung von größeren Datenvolumina nicht geeignet sind.
Als weiteres Beispiel sind auch die Lieferketten in der Healthcare-Industrie von Blockchains betroffen – anhand dieser Technologie kann beispielsweise die Nachverfolgung von Medikamenten transparenter werden.
