Generationen im Gespräch: Chancen der 4-Tage-Woche

Elisa, 39, Director Human Capital Consulting bei Deloitte, Béatrice, 53, Fondatrice von VERDINO und Nina, 29, Content Creatorin bei VERDINO im Gespräch über die Herausforderungen und Chancen neuer Arbeitszeitmodelle.

Drei erfolgreiche Frauen im Gespraech ueber Business, Innovation und Leadership in einer modernen Arbeitsumgebung
Frau im Blazer blickt nach rechts aus Bild hinaus, vor ihr stehen ein Laptop und Glas auf dem Tisch

Elisa Aichinger

Director Human Capital @Deloitte Consulting


Elisa, Du bist bei der Unternehmensberatung Deloitte für den Bereich Social Innovation und Human Capital verantwortlich – was kann man darunter verstehen?

Elisa Aichinger: Ich bin Personalberaterin und beschäftige mich in meiner Arbeit seit 12 Jahren mit der Frage, wie Personalarbeit so gestaltet werden kann, dass sie auf Herausforderungen am Arbeitsmarkt und im gesellschaftlichen Wandel reagieren kann. Dabei geht es zum Beispiel um wachsende Diversität, die Chancengleichheit der Geschlechter, aber auch die unterschiedlichen Erwartungen verschiedener Generationen. In diesen Aspekten berate ich Unternehmen.

Wie können Unternehmen auf die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingehen und gleichzeitig keinen Umsatz einbüßen?

Elisa Aichinger: Die wichtigste Voraussetzung ist, den Mitarbeiter*innen zuzuhören. Ein Fehler, der Unternehmerinnen und Unternehmern immer wieder passiert, ist, dass sie in bester Absicht von Wünschen oder Lösungen ausgehen, ohne mit dem Team darüber zu sprechen. Die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, wird generell wichtiger – dabei geht es nicht nur um die Mitarbeiter*innen, sondern auch die Kund*innen: Zu fragen, was erwarten sie sich von mir als Unternehmer*in und wer wird von diesen Erwartungen noch beeinflusst? Also das gesamte Ökosystem miteinzubeziehen. Damit steht und fällt die Strategie.

Lachende Frau mit Brille gestikulierend im Gespraech

Béatrice Verdino

Fondatrice

Mit dem neuen Arbeitszeitmodell und den Innovation Fridays geht VERDINO strategisch auch in Richtung Social Innovation – was war die Motivation dahinter?

Béatrice Verdino: Es gab von vielen Mitarbeiter*innen den Wunsch, flexibler zu arbeiten. Also haben wir uns ein Modell überlegt, mit dem wir diesem Wunsch einerseits nachkommen und andererseits auch die Motivation stärken können, um damit die optimale Voraussetzung für eine qualitätsvolle Kund*innenbetreuung zu schaffen. Zeit anzubieten, die sinnvoll genutzt werden kann, ist eines der wertvollsten Güter und ein wesentlicher Motivator.

Statt 40 werden seit Mai 2019 36 Stunden pro Woche gearbeitet – anders als früher?

Béatrice Verdino: Durch das Straffen von Zeitplänen und Optimierungen ergibt sich ein ergebnisorientiertes Arbeiten für alle: Die Mitarbeiter*innen arbeiten konzentrierter und fokussierter in den vier Tagen, wenn die Arbeitswoche mit der Aussicht auf einen freien Freitag besteht.

Laechelnde Frau in Business-Umgebung, im Hintergrund zwei Sesseln

Nina Horcher

Content Creation; Copywriting


Motiviert ein neues Arbeitszeitmodell junge Arbeitnehmer*innen tatsächlich?

Nina Horcher: Den Plan, auf eine 4-Tage-Woche umzustellen, habe ich von Anfang an sehr positiv und motivierend wahrgenommen. Meiner Meinung nach ist es einfach an der Zeit, dass Unternehmen progressiver agieren und festgefahrene Strukturen aufbrechen. Um sich innovativ zu positionieren und zu arbeiten, sollte man auch alte Arbeitsmodelle überdenken – natürlich in Absprache mit den Mitarbeiter*innen. Das Zeichen, dass die eigene Meinung dabei zählt, ist viel wert.

Nach einem Monat 4-Tage-Woche: Was hat sich für Dich verändert?

Nina Horcher: Für mich persönlich ist es ein großer Mehrwert, einen Tag in der Woche frei gestalten zu können – das fühlt sich am Freitag auch ganz anders an als am Wochenende, weil es mehr Möglichkeiten für Erledigungen gibt. Dass sich die Zeitpläne von Montag bis Donnerstag etwas verdichtet haben, nehme ich dafür gerne in Kauf. Ich bin aber auch eine Person, die am motiviertesten arbeitet, wenn die Deadline in Sichtweite ist.

Zwei junge Frauen im Gespraech ueber Arbeitsbedingungen mit offenem Laptop am Tisch


Warum ist es jungen Mitarbeiter*innen heute wichtiger als früher, dass der*die Arbeitgeber*in auch auf ihre persönlichen Bedürfnisse eingeht?

Elisa Aichinger: Eine mögliche Erklärung bezieht sich auf die unterschiedliche Sozialisierung der Generationen: Die Idee dahinter ist, dass die Arbeitswelt, in der Menschen in der Phase ihrer Jugend und in ihrem jungen Erwachsenenalter hineinwachsen, ihre Einstellungen und Erwartungen beeinflusst. Bei jüngeren Generationen, wie der Generation Z oder den Millennials, lässt sich beobachten, dass es dabei einen ziemlichen Cut hinsichtlich der Ausbildung gibt. Die Top-Ausgebildeten sind kritischer und sehr interessiert an Arbeitgeber*innen, bei denen sie sich weiterbilden und selbst verwirklichen können. Auf der anderen Seite gibt es die weniger Qualifizierten, für die Stabilität und ein sicherer Arbeitsplatz im Fokus stehen. Durch diese Werte sind sie von traditionellen Arbeitgeber*innen wahrscheinlich eher angetan.

Wie kann die Unternehmensstrategie von neuen Arbeitszeitmodellen profitieren?

Elisa Aichinger: Eine 4-Tage-Woche ist ein perfektes Beispiel dafür, dass es möglich ist, bestehende Aufgaben ein bisschen flexibler zu denken und damit Mitarbeiter*innen mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. Gerade aus der Sicht der jungen Generationen steht das stark im Fokus ihres Interesses, denn sie suchen in der Arbeit oft eine sinnstiftende Tätigkeit und Raum für Selbstverwirklichung. Aber auch aus unternehmerischer Sicht kann eine Verkürzung der Arbeitszeit durchaus Sinn machen: Wenn dadurch engagierter gearbeitet wird, hat das einen positiven Einfluss auf die Qualität des Ergebnisses. Auch kann sich dadurch die Effizienz verbessern, was wiederum einen positiven Effekt auf das Geschäftsergebnis hat.

Von Arbeitnehmer*innen zu Kund*innen: Wie werden die Auftraggeber*innen von neuen Arbeitsmodellen beeinflusst?

Béatrice Verdino: Uns ist es natürlich wichtig, dass die Kund*innen diese Umstellung positiv wahrnehmen. Sie werden merken, dass es in Wirklichkeit nicht auf den einen Arbeitstag mehr oder weniger ankommt – im Gegenteil: Ein Vorteil davon kann auch sein, dass wir unsere Aufgaben schon früher, also vor Freitag, erledigen. Es ist ja nicht so, dass wir weniger arbeiten, wir verteilen die Zeit nur anders und sind für Notfälle auch freitags erreichbar.

Teil des neuen Arbeitsmodells sind auch sogenannte Innovation Fridays.

Béatrice Verdino: Mit den Freitagen, an denen wir uns der Innovation widmen und an Lösungen oder Ideen arbeiten, wollen wir auch weiterhin für unsere Kund*innen ein*e Sparringpartner*in und Impulsgeber*in sein, um gemeinsam mit dem*der Kund*in die »Nase vorn zu haben«. Und natürlich sollen die Auftraggeber*innen auch von der wachsenden Motivation unserer Mitarbeiter*innen profitieren. Was ich an dem Prozess sehr schön finde, ist, dass wir ihn gemeinsam mit Kund*innen und Mitarbeiter*innen weiterentwickeln können.

Frau mit Brille gestikuliert in einem Gespraech

Béatrice Verdino

Fondatrice


Was siehst Du als Geschäftsführerin als die größte Chance in diesem Prozess?

Béatrice Verdino: Mit Kund*innen sowie Mitarbeiter*innen noch enger zusammen zu arbeiten. Gerade befinden wir uns in der Testphase. Nach einer gewissen Zeit wollen wir Meinungen einholen und gemeinsam schauen, was gut läuft und wo man noch optimieren kann. Für mich persönlich bedeutet die 4-Tage-Woche einen Zeitgewinn, um »Mindful Leadership« zu betreiben – also Zeit zu haben, um zu reflektieren und nicht nur zu funktionieren. Am Freitag kann ich sinnvolle, nachhaltige Entscheidungen abseits des operativen Geschäfts treffen, für Kund*innenprojekte planen und gewonnene Erkenntnisse auswerten. Ein weiterer Mehrwert ist natürlich auch die Aussicht auf einen freien Tag für Qualitätszeit mit meiner Familie. Nicht zu vergessen das Thema Prävention: Indem wir bewusst mit Arbeits- und Regenerationszeit umgehen, sorgen wir gleichzeitig für unsere Gesundheit vor.

Haben kleinere Unternehmen hier einen Vorteil gegenüber großen Konzernen?

Elisa Aichinger: Bei kleineren Unternehmen ist die Loyalität der Mitarbeiter*innen oft stärker, weil das Umfeld familiärer ist und die Interessen und Bedürfnisse von Mitarbeiter*innen einen hohen Stellenwert haben. Das ist auch ein klarer Vorteil für solche Umstellungsprozesse.