Gendern im Web: Texte für jede*n
Es gibt zahlreiche Ausreden und mindestens so viele Möglichkeiten, in einer geschlechtergerechten Sprache (online) Texte zu verfassen – ganz ohne irgendjemanden – genauer gesagt Frauen und nicht-binäre Geschlechtsidentitäten – nur mit zu meinen oder auch gar nicht anzusprechen.
Aber warum überhaupt gendern?
Die Antwort auf diese Grundsatzfrage erschließt sich in einem Gedankenexperiment. Man stelle sich dazu folgende Szene vor:
„Die Kindergärtner treffen sich zur gemeinsamen Wanderung auf der Berghütte, wo sie die Kellner mit frischem Apfelsaft empfangen und Musiker fröhliche Volksmusik spielen.“
Und? Wie viele weibliche – oder zumindest nicht männliche – Personen sind vor dem inneren Auge erschienen? Meine Vermutung: Gar keine. Denn offensichtlich maskuline Pluralformen sprechen in erster Linie eine Geschlechtsidentität an: die männliche! Die dazu passenden Bilder in unseren Köpfen werden von der geschriebenen und gesprochenen Sprache mit transportiert und andere Genderidentitäten damit ausgeschlossen.
Dass das so ist, ist wissenschaftlich bestätigt: Erst vor kurzem (im August 2019) wurde eine schwedische Studie veröffentlicht, die beweist, dass die Wahrnehmung von Geschlechterrollen bei Probandinnen und Probanden unmittelbar beeinflusst wurde, wenn das in Schweden bereits etablierte genderneutrale Pronomen „hen“ angewandt wurde. Das Pronomen wurde bereits 2015 in das schwedische Wörterbuch aufgenommen, um nicht-binäre – also weder männliche noch weibliche – Personen zu beschreiben.
Zielgruppe: Alle oder niemand
Die Gegenfrage lautet also: Wollen wir ausschließlich Männer mit unseren Texten ansprechen und alle anderen Leserinnen und Leser ausschließen? Oder auch nur riskieren, dass sich andere, vielleicht auch binäre Geschlechtsidentitäten ausgeschlossen fühlen? Schließlich leben wir im Jahr 2019, indem auch in Österreich das dritte Geschlecht offiziell anerkannt wurde.
Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung hält übrigens seit 2012 in einem Leitfaden fest, warum gendern für alle sinnvoll ist: „Geschlechtergerechte Sprache macht Frauen und Männer symmetrisch präsent und fördert das Bewusstsein der Gleichwertigkeit.“
Der frauenfeindliche Google-Algorithmus
Die Tage des generischen Maskulinums sind gezählt und der Großteil der Gesellschaft ist bereit dafür. Die frohe Botschaft muss jetzt nur noch das deutsche Silicon Valley erreichen: Denn deutschsprachige Websites von Frauen werden auf Google schlechter gerankt als jene von männlichen KollegEN.
Der Algorithmus ist demnach frauenfeindlich, weil die deutsche Sprache Frauen bei männlichen (Personen-)Bezeichnungen zu lange mit gemeint hat, wie eine t3n-Autorin feststellte.
Das Problem dabei ist, dass deutsche Userinnen und User diese sprachliche Angewohnheit auch ins Web übertragen haben: „Wir benutzen die männliche Form nicht, weil wir nach einem Mann suchen, sondern weil wir es gewohnt sind, dass die männliche Bezeichnung Frauen mit einbezieht.“
In der Praxis sieht das zum Beispiel so aus: Wird auf Google nach Texter gesucht, erscheinen natürlich zuerst jene Websites in der Liste, die als Keyword „Texter“ verwenden – was vor allem Männer sind. Es zeigt aber auch einige Frauen, die ihre Website auf männliche Keywords hin optimiert haben, weil sie – traurig aber wahr – sonst nicht gesehen werden.
Gewöhnen wir uns das generische Maskulinum im Sprachgebrauch – und auch in der Onlinesuche – also nicht ab, werden nicht nur Frauen konsequent ausgeschlossen und damit unsichtbar gemacht. Viele sehen sich dazu gezwungen, ihre Onlinepräsenz auf die männliche Form hin zu optimieren, um Traffic über Suchmaschinen zu generieren. Letzteres würde das männliche Bild in unseren Köpfen aber erst recht verfestigen.
Denn während bei maskulinen Begriffen nicht zwingend nur nach Männern gesucht wird, ist das bei der weiblichen Form in der Regel durchaus so: Sie fungiert nicht als Klammer für beide Geschlechter.
SEO und geschlechtsneutrale Formulierungen
Sind geschlechtsneutrale Formulierungen also die Lösung des SEO-Genderproblems? Nicht wirklich, denn diese sind noch weniger in unserem Sprachgebrauch verankert als weibliche Formen: Nach Studierenden, Lehrenden oder Arbeitenden sucht online so gut wie niemand. Außerdem lässt sich nicht jedes Wort auf diese Weise ummünzen. „Textende“, zum Beispiel, macht inhaltlich wenig Sinn und klingt kryptisch.
Besser wäre es, wenn jeder von uns sich bemüht, im alltäglichen Sprachgebrauch und vor allem in der Onlinesuche und Suchmaschinenoptimierung zumindest männliche und weibliche Formen mitzudenken und damit auf lange Sicht fast nebenbei den Algorithmus dahingehend verändert. Denn sicher ist: Google orientiert sich am Nutzungsverhalten seiner Userinnen und User – und die haben damit mehr Einfluss, als sie wissen.
Fazit
Jeder von uns hat eine Vorbildfunktion: Männliche, weibliche und nicht-binäre Geschlechtsformen im täglichen Sprachgebrauch mitzudenken, kann auf lange Sicht den Algorithmus ändern.
Learnings
Gendern hat einen wichtigen Grund
„Geschlechtergerechte Sprache macht Frauen und Männer symmetrisch präsent und fördert das Bewusstsein der Gleichwertigkeit.“
Google ist frauenfeindlich
Der Google-Algorithmus ist leider frauenfeindlich, weil die deutsche Sprache Frauen bei männlichen (Personen-)Bezeichnungen zu lange mit gemeint hat.
Geschlechtsneutrale Formulierungen
Geschlechtsneutrale Formulierungen, wie Lehrende, sind keine Lösung des SEO-Genderproblems, weil sie noch weniger in unserem Sprachgebrauch verankert sind, als weibliche Formen und zudem grammatikalisch oft nicht passen.
Veröffentlicht am: 31.10.2019
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